Der Sozialist Ragaz sieht die Welt als Glaubender: «Wer an die Auferstehung Christi recht glaubt, der glaubt überhaupt an die Auferstehung der ganzen Schöpfung (...), auch an die Auferstehung der Natur». Die Natur, so bringt er seine Ökotheologie im Werk Die Bibel – eine Deutung auf den Punkt, hat «ihren Eigenwert und ihr Eigenrecht». Dieses Konzept ist noch heute revolutionär. Zum Reich Gottes gehört für Ragaz nicht nur die Befreiung der Menschen von Ausbeutung und Unterdrückung, sondern auch «die Erlösung der Kreatur».
Den «ökologischen Fussabdruck» kannte Ragaz noch nicht. Es ist ein Indikator, um die Bedürfnisse der Menschen in einen Zusammenhang mit dem Eigenwert und dem Eigenrecht der Natur zu stellen. Er misst den Verbrauch natürlicher Ressourcen zum Beispiel der Bevölkerung in der Schweiz und drückt den fiktiven Anteil an der Fläche der Erde aus, die für die Produktion dieser Ressourcen notwendig wäre. Das Bundesamt für Statistik bilanziert: «Beinahe dreimal die Erde wäre erforderlich, wenn alle wie die Schweizer Bevölkerung leben würden. (…) Wir leben somit auf Kosten künftiger Generationen und anderer Erdteile.»
Diese Erkenntnis passt hinten und vorn nicht zusammen mit dem Bericht, den die Schweiz in diesem Sommer vor der UNO in New York vorgestellt hat. Es geht um die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Die Schweiz bezeichnet sich als «verlässliche Partnerin in der internationalen Staatengemeinschaft» – auf deren Kosten sie lebt. Dass der ökologische Fussabdruck jenem eines Riesen entspricht, wird überspielt. Die Schweiz sei bei vielen Zielen «bereits weit fortgeschritten». Bundesrat Cassis hat eingegriffen und die ursprüngliche Bestandesaufnahme, zu der auch Umwelt-, Entwicklungs-, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen beitrugen, durch diesen massiv gekürzten und frisierten Länderbericht ersetzt.
Für Stella Jegher von Pro Natura wird damit verschleiert, dass die Ziele der Agenda 2030 nur mit einem Wandel unserer Konsum- und Produktionsmuster zu erreichen sind. Das betreffe den Verbrauch von Rohstoffen und Nahrungsmitteln ebenso wie unsere Mobilitätsansprüche und Verhaltensmuster.
Noch weiter geht Papst Franziskus in seiner Umweltenzyklika Laudato si’. Er hat sie bei seinem kürzlichen Besuch in Genf auch dem Bundesrat geschenkt. Franziskus sieht, dass sich der Klimakatastrophe nicht allein mit einer Änderung des Lebensstils beikommen lässt. Er stellt die entscheidende Frage nach dem Zusammenhang von Wachstum, Produktionsweise und Machtverhältnissen. So würden «die Nuklearenergie, die Biotechnologie, die Informatik, die Kenntnis unserer eigenen DNA und andere Fähigkeiten, die wir erworben haben, (...) denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt» geben. Mit der Ökonomisierung steht für ihn, wie für Ragaz, alles auf dem Spiel: «Während wir die Dinge in verantwortlicher Weise gebrauchen dürfen, sind wir zugleich aufgerufen zu erkennen, dass die anderen Lebewesen vor Gott einen Eigenwert besitzen».
Ob auch der Papst das Auto massiv einschränken würde? Immerhin sass er in Genf inmitten von massigen Sicherheitsfahrzeugen und schwach besetzten Staatskarossen in seinem verschwindend kleinen Fiat.