Das griechische Verb apokalyptein bedeutet «enthüllen, entlarven, aufdecken, offenlegen». In diesem Sinn können wir biblische Apokalyptik, neben der Offenbarung gehören etwa das Buch Daniel oder Kapitel 13 des Markus-Evangeliums dazu, als frühe Aufklärungsliteratur verstehen. Sie will zeigen, was geschieht, wenn nichts unternommen wird und alles weitergeht wie bisher.3 Sie deckt auf, wo es zwischen Himmel und Erde Verbündete gibt, die an der Verwandlung der Gewaltverhältnisse mitarbeiten. Die Offenbarung gehört damit in die jüdische Widerstandsliteratur: Sie will Machtverhältnisse aufdecken. Sie sucht Worte für Ohnmachts- und Gewalterfahrungen. Sie schaut hinter die Masken der Macht, die oft nur ein Bemänteln von Unrecht sind. Sie tut dies in einer wilden, farbigen, leidenschaftlichen Sprache, die ihre Bilder von Mythen und Propheten leiht. Gutes Hinhören und Hinschauen ist daher nötig. «Schau hin!» und «sehen» sind leitende Signalwörter.
Die Offenbarung stellt die Macht- und Gerechtigkeitsfrage: Wem gehört die Erde? Wer regiert diese Welt? Die Antwort auf die erste Frage ist klar: Die Erde gehört Gott, der sie geschaffen hat – so wie es beispielsweise die Psalmen unermüdlich singen (Ps 24,1; 50,12; 89,11). Doch regiert Gott denn die Welt? Diese Frage ist auch heute zu stellen. Wir können sie unterschiedlich beantworten: Es regieren die Finanzeliten, die weissen alten Männer, der Norden dominiert den Süden usw. Der biblische Gott, Adonaj, regiert sicher nicht.
Zur Zeit der Entstehung der Offenbarung waren die römischen Eliten die Herren des Weltkreises. Das Imperium Romanum beschaffte sich Güter von überallher – Oliven aus Griechenland, Korn aus Ägypten und SklavInnen vom letzten Krieg. Denn damals machte man keine Kriegsgefangenen. Entweder wurde getötet oder verkauft. Rom stieg auf dem Rücken der Sklaven zur Weltmacht auf.4
Johannes schreibt als einer, der den Krieg und seine Verheerungen kennt (Offb 6,8; 9,3; 11,7; 12,7; 13,7; 17,14). Er nimmt Unrecht dort wahr, wo die einen nichts Böses vermuten und die anderen es als «Schicksal» ansehen würden. Damit gelingt es ihm, Unrecht zu benennen und aufzudecken – apokalyptein.