Hautfarben

Fatima Moumouni, 17. Mai 2017
Neue Wege 5/2017

Wie ist deine Haut?

Weiss.

Weiss? Wie frischer Schnee, reines Koks, pasteurisierte Milch?

Vielleicht ein wenig dunkler.

So wie ... Vergilbtes oder schlecht Gebleichtes?

Äh ... Joah ...

Also grau? Wie ein altes iPhonekabel, die feinen Linien eines karierten Blatts, angeschmürzeltes Wachs? Oder mehr ... Kaffeerahm?

Weniger glatt von der Textur her.

Hm. Wie Bildrauschen, Waschpulver, Kiesboden, Blumenkohl?

Vielleicht ist das schon zu grob.

Eher feinster Sandstrand, Gischt, Milchglasfenster,
Ökopapier?

Nein, sie hat auch etwas Rötliches.

Rötlich? So wie Mumps? Masern? Röteln? Sportplatz, Backstein, Glut?

Nein. Bräunlicher.

Bräunlich-weiss? Du meinst beige. Kork, ein Seil, eine Kordel?

Ja auch. Aber du vergisst das Rötliche!

Süsskartoffel. Laub. Tontopf. Klo-Stopfer, Schmiergelpapier.

Hmm. Auch nicht. Ich glaube, es sind verschiedene Farben gleichzeitig!

Wie Pickel? Rot, gelb, weiss. – Kruste?

Nein. Nein, kein Gelb. Mehr rosa!

Dann meinst du wohl ein Schwein. Ein Nagelbett. Oder rohes Hähnchen.

Hmm. Mit dem Hähnchen können wir arbeiten. Kennst du das, wenn ein gegrilltes Hähnchen noch nicht durch ist? Das sind die Farben. Die hellbraune Haut, das helle Fleisch, das Rosa am Knochen.

Du meinst, wenn ich die Farbpalette für ein halbrohes Hähnchen hätte, könnte ich dich farbgetreu malen?

Hmm ... Ich denke schon.

Hast du dich jemals gefragt, welche Hautfarbe du hast?
Im Schwümbi, beim Bäcker, am Erstitag,
hast du dich jemals gefragt, welche Hautfarbe du hast?
Beim Fragen nach dem Weg in einer fremden Stadt?
Beim Jobinterview, bei einer Polizeikontrolle?

«Nein, aber...», sagst du und erzählst mir
vom Strand, vom Sommer, vom Urlaub, vom Solarium
– da denkst du manchmal an die Farbe deiner Haut.

Hat deine Haut jemals gesagt: «Ich vertick Gras!»
oder: «Ich sprech Klick-Sprache, putze WCs oder die Strasse»?

Hat man deiner Haut jemals gesagt:
«Deine Eltern haben wohl geheiratet der Papiere wegen.»
oder: «Verdächtig! Das kontrolliert man eben»?

Hat man deiner Haut jemals «Stopp» gesagt vor dem Zoll?
Hat man deiner Haut jemals erzählt: «Das Boot ist voll!»?

Hat sie jemals gesagt:
«Ich hab’ Swag, kann tanzen und auch Lieder singen!»
Spielt sie auch eine Rolle, als wär’ sie ’ne Schauspielerin?

Nein. Mein Hautton ist stumm.

Also du meinst, man hört oder sieht deine Haut nicht?
Nur wenn die Sonne sie verbrennt?
Das ist wie Geheimschrift mit Zitronensaft auf Papier.
Sie ist also durchsichtig. Oder du bist blind.

Hat deine Haut Amerika entdeckt
und schminkt sich an der Fasnacht als Indianer?
Denkt deine Haut, isst du dein Znacht nicht fertig,
an arme Afrikaner?

Nein? Dann hast du die Weissheit wohl mit Löffeln gefressen
oder, sagen wir, sie wurde dir in die Wiege gelegt.

Aber ... Aber ...

Ich hoff’, du fühlst dich nicht von mir
an der Borke deiner Birke gesägt.
Ich wollt’ nur, dass du’s weisst,
Deine Haut ist dir Privileg.

Du fragst mich:
«Und wie ist deine?»

Ich reiche dir die Hand,
das Stückchen Weissheit, das ich auch habe.
Und sag’ dir: «Meine, die ist hautfarben.»

In der Kolumne Alltag in ... beschreiben die Journalistin Iren Meier und die Poetry Slammerin Fatima Moumouni abwechselnd das, was sie an den Orten, an denen sie sich bewegen, beobachten - von Zürich bis in den Nahen Osten.

  • Fatima Moumouni,

    *1992, war 2012 bayrische U20-Meisterin und deutschsprachige U20-Vizemeisterin im Poetry Slam. Sie schreibt schnelle, laute Texte, tritt damit seit fünf Jahren auf Bühnen
    im gesamten deutschsprachigen Raum auf und schwenkt seit fünf Jahren einen Ausländerausweis in ihren Händen – sie wohnt seitdem in der Schweiz.