Kulturkampf

Kurt Seifert, 1. November 2017
Neue Wege 11/2017

Kulturelle Konflikte der Gegenwart wie der Vergangenheit entzünden sich an religiösen Fragen und konfessionellen Kontroversen. Doch im Kern dieser oft sehr erbittert geführten Kämpfe geht es um die Frage, wer zum Gemeinwesen dazugehören soll und wer nicht. Das lässt sich am Beispiel der Schweiz des 19. Jahrhunderts verdeutlichen.

Ein Buch mit Essays des Historikers Josef Lang sowie des Schriftstellers Pirmin Meier beleuchtet die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Reformierten und Katholiken vor und nach der Gründung des Bundesstaates. Diese waren zugleich Konflikte zwischen liberal-progressiven Katholiken und Reformierten einerseits und konservativen Reformierten und Katholiken auf der anderen Seite.

Der letzte Konfessionskrieg auf europäischem Boden hatte Anfang des 18. Jahrhunderts in der Schweiz stattgefunden – mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden von 1648, der den bewaffneten Kämpfen im Namen einer Konfession ein Ende hätte bereiten sollen. Die Vorkämpfer für ein geeintes «Vaterland» Schweiz im frühen 19. Jahrhundert wussten, dass die Religion als Grundlage eines  gemeinsamen Staates nicht infrage kam: Die staatsbürgerliche Zugehörigkeit musste von der konfessionellen getrennt werden.

Kenntnisreich beschreibt Josef Lang die Kontroversen zwischen den liberalen und konservativen Parteiungen, die von den konfessionellen Lagern gekreuzt wurden. So waren unter jenen, die für den Bundesstaat eintraten, sowohl Reformierte wie Katholiken, und Sonderbünde wurden nicht nur von Katholisch-Konservativen geschmiedet. Den Kampf für die Aufhebung der Klöster und gegen die Jesuiten führten sowohl liberal-progressive Protestanten wie Katholiken. Lang weist darauf hin, die katholischen Radikalen seien dabei viel «entschlossener» gewesen als ihre protestantischen Partner. Das hatte mit ihrer antiklerikalen Haltung zu tun. Sie richtete sich insbesondere gegen die Jesuiten als Propagandisten eines Fundamentalismus, der die Vormacht der römischen Kirche stützte.

Gegen den Widerstand der konservativen Kräfte wurde mit der Bundesverfassung von 1848 ein Staat auf nicht-konfessioneller, dafür aber «christlicher» Grundlage geschaffen. Nicht-ChristInnen, also insbesondere Juden und Jüdinnen, hatten dort keinen Anspruch auf die Grundrechte der Religions- und Niederlassungsfreiheit. Josef  Lang nennt dies eine «schwerwiegende und verhängnisvolle Fehlentscheidung». Sie wurde erst mit der  Bundesverfassung von 1874 korrigiert. Auch hier hatten katholisch-konservative Kreise heftig opponiert –  insbesendere gegen die Emanzipation der jüdischen BürgerInnen.

Die katholischen Radikalen trugen jedoch entscheidend dazu bei, dass die Schweiz mit dieser Verfassung ein säkularer Staat werden konnte. Der «radikalen Progression» der frühen 1870er-Jahre folgte «eine konservative Regression, in der es erstmals zu einem nachhaltigen Bündnis der beiden konfessionellen Konservativismen kam», schreibt Lang. Der Freisinn geriet nach dem Ende des Kulturkampfs in eine Orientierungskrise und hat sich bis heute zu einem Wirtschaftsliberalismus gewandelt. Dieser übt zusammen mit den ursprünglich reformierten Nationalkonservativen, die inzwischen aber auch in die katholischen Stammlande eingedrungen sind, die politische Hegemonie in der Schweiz aus – wenn auch nicht immer ganz unbestritten.

Eine erfolgreiche Form der Sicherung von Herrschaft besteht darin, Fragen der Zugehörigkeit zum Gemeinwesen vor allem unter ethnisch-religiösem Aspekt abzuhandeln. Dies geschieht nun auch in der Debatte um die Stellung der MuslimInnen in unserer Gesellschaft. Ihrer rechtlichen Gleichstellung scheint die fehlende Kompatibilität ihrer Religion mit unserer Kultur entgegenzustehen. Dieser Form der Herrschaft durch Aufteilung in solche, die «passen» und jene, die «nicht dazugehören», muss und kann entgegengetreten werden.

Josef Lang benennt im Gespräch mit Pirmin Meier, das den Mittelteil des Bandes bildet, die Gleichstellung von Islam und Judentum mit dem Christentum als eine der grössten Herausforderungen heute. Das Buch macht auf wichtige Erfahrungen, Erfolge und Niederlagen im Kampf um die Integration des «Fremden» aufmerksam und sollte noch breitere Beachtung finden.

Josef Lang, Pirmin Meier: Kulturkampf. Die Schweiz des 19. Jahrhunderts im Spiegel von heute. Verlag Hier und Jetzt, Baden 2016, 144 Seiten.

  • Kurt Seifert,

    *1949, lebt in Winterthur und ist Mitglied der Redaktion der Neuen Wege.