Liebe Schwester Psychose
Ich will Dir schreiben. «Psychose» – so hast Du Dich nicht vorgestellt. Diesen Namen hat Dir erst die definierend zuständige Institution gegeben. Und «Schwester» nenne ich Dich heute zum ersten Mal. Weil es sich stimmig anfühlt.
Du kamst plötzlich zu mir, unaufhaltsam, in grossen Bildern während der Probezeit in einem Kloster. Du sagtest – wie naheliegend –, dass ich endlich sei, wo ich hingehöre, hast uralte Seelenschmerzen verwandelt, Neues geschaffen, Zugehörigkeit vermittelt, Geschichten gewoben um alte Steine und noch ältere Gesänge. Viele, die letztendlich Nonnen oder Mönche geworden sind, erzählen von solchen Anfängen.
Doch bei mir kamst Du! Kamst Du? Oder hat man nur nicht verstanden? Mit Dir jedenfalls kam eine ganz neue Deutungshoheit: Hirnstoffwechseltheorien, Krankheit, Nonsense, Ich-Störung, Einsicht und fehlende Einsicht – Anosognosie genannt! –, Medikamente, die es richten sollten.
Sinnentblösst stand ich über Nacht in neuen vier Wänden. Da waren sie noch nicht verriegelt. Aber so sollte es noch werden. Wieder und wieder, Schwester, kamst Du zurück.
Hat man es nur nicht verstanden?
In «Krankheiten», die man messen und objektiv diagnostizieren kann, muss man den Sinn oft nachträglich einfügen. Dir ist der Sinn eingebrannt. Man nimmt ihn heraus. Und denkt, man tut etwas Gutes. Doch Du erinnerst uns stetig! Ihr habt noch nicht begriffen!
Spirituell-theologisch hat mich nie jemand «abgeklärt», die Zeiten sind vorüber. Ich habe Dir selber meinen Namen gegeben: eine besondere Sensibilität für die eschatologische Dringlichkeit des Advents!
«Herr, es ist Zeit zu handeln.» Jetzt!
Unterbruch – Einbruch – Durchbruch.
In mir. In anderen. Immer wieder.
Schwester Psychose, hilfst Du uns, Dich zu verstehen?
Die anderen scheitern.
Bleib behütet
Deine Andrea
