Reproduktionstechnologien und Ethik

Antje Schrupp, 18. Februar 2022
Neue Wege 3/22

Mithilfe moderner Reproduktionstechnologien wird es immer einfacher, einen eigenen Kinderwunsch zu erfüllen. Damit verbunden sind viele ethische Fragen. Sie kreisen oft um den Fortbestand der «natürlichen» Familie oder betreffen die Bedingungen, unter denen Kinder «produziert» werden. Als ethische Richtschnur sollte dabei nicht Ideologie, sondern die Freiheit und Würde aller Beteiligten gelten.

Seit 1978 das erste «in vitro» gezeugte Baby zur Welt kam, haben Reproduktionstechnologien eine rasante Entwicklung genommen. Damit sind auch die ethischen Herausforderungen der Fortpflanzung auf ein völlig neues Niveau angestiegen. Bei einer IVF (In-vitro-Fertilisation) muss die schwangere Person beispielsweise nicht mehr mit der Spenderin der Eizelle identisch sein. Das bringt einiges durcheinander. Nicht nur können Babys jetzt drei «biologische» Eltern haben – die beiden Spender*innen der Keimzellen sowie die Schwangere. Mittels moderner Reproduktionstechnologie ist es inzwischen auch möglich, Gebärmütter und Eierstöcke zu transplantieren, Spermafäden gezielt in einzelne Eizellen zu injizieren oder menschliche Keimzellen einzufrieren. Ausserdem können Embryonen nun selektiert werden, zum Beispiel auf mögliche Behinderungen, gewünschte reproduktive Varianten des Körpers – mit Vulva oder Penis, XX- oder XY-Chromosomen – und weitere genetische Merkmale. Was davon soll erlaubt sein und was verboten?

Bisher wird die gesellschaftliche Akzeptanz bei der Anwendung von Reproduktionstechnologien fast ausschliesslich an die Ähnlichkeit zur traditionellen Familie geknüpft. Zum Beispiel schliessen viele nationale Gesetzgebungen homosexuelle Paare oder Alleinstehende davon aus. Oder: Kinderwunschbehandlungen werden vorwiegend für heterosexuelle Paare in einer bestimmten Altersspanne finanziell unterstützt. Zwar gibt es inzwischen auch einen Trend dahin, homosexuelle Paare als Kund*innen zu akzeptieren, etwa in Skandinavien, Kanada, einigen US-Bundesstaaten und seit Januar 2022 auch in Israel. Aber auch hier wird betont, dass diese doch «ganz normale» Familien seien.

Bei diesem «Framing» spielt in vielen Kontexten die christliche Weltanschauung eine grosse Rolle. Die Kirchen haben über Jahrhunderte die lebenslange, monogame, heterosexuelle Ehe als einzig legitimen Ort der Fortpflanzung behauptet, als Ausdruck sowohl des Willens Gottes als auch der Ordnung der Natur. Zudem war christliche Dogmatik gegenüber der Medizintechnologie traditionell skeptisch eingestellt: Wer sich mithilfe von Wissenschaft und Technologie am menschlichen Körper zu schaffen macht, wolle «Gott spielen», lautete der Vorwurf.

«Ganz normale» Familien

Dieser ideengeschichtliche Hintergrund prägt die Auseinandersetzung mit Reproduktionstechnologien bis heute. Zum Beispiel wird der Einsatz von IVF und anderen Verfahren legitimiert, indem so getan wird, als würden sie gar nichts Neues bringen, sondern lediglich dabei helfen, «ganz normale» Familien zu ermöglichen. Sie stünden sozusagen gar nicht «gegen die Natur», sondern ganz im Gegenteil «im Dienst der Natur». Zum Beispiel rechtfertigen heterosexuelle Paare die Beauftragung einer Leihmutter häufig damit, dass es doch ein «natürlicher» Wunsch von Paaren sei, Kinder zu haben. Die konkrete Umsetzung gilt hingegen als etwas Privates, in das andere sich nicht einzumischen haben. Das geht so weit, dass Reproduktionsagenturen den Auftraggeberinnen künstliche Bäuche zur Verfügung stellen, mit deren Hilfe sie eine eigene Schwangerschaft vortäuschen können. Auch bei der Zeugung von Embryonen mit gekauften Ei- oder Keimzellen wird darauf geachtet, eine genetische Verwandtschaft nahezulegen: Die verwendeten Keimzellen müssen von Spender*innen stammen, die den Auftragseltern äusserlich (zum Beispiel bezüglich Hautfarbe oder Augenform) ähnlich sind – einen sachlichen Grund dafür gibt es eigentlich nicht. Sogar der Begriff «Reproduktionsmedizin» selbst untermauert diese Vorstellung von familiärer Normalität, denn er hebt einen vermeintlichen Heilungsaspekt hervor, so als sei Unfruchtbarkeit oder die nicht vorhandene Fähigkeit zum Schwangerwerden eine Krankheit, während sie doch zum Menschsein dazugehört.

Diese Art und Weise der Debatte ist meines Erachtens höchst problematisch. Zum einen vergrössert sie die Normativität des traditionellen Familienmodells. Während es zum Beispiel früher recht häufig vorkam, dass Paare kinderlos blieben, müssen sie sich heute dafür rechtfertigen. Zum andern finden inhaltliche Debatten über eine Ethik der Reproduktion – gesellschaftlich gesehen – hingegen kaum statt. Die Imitation traditioneller «Normalität» verhindert, dass gemeinsam sinnvolle Kriterien für den Umgang mit diesen Technologien entwickelt werden können. Stattdessen stülpen viele den neuen Verwandtschafts- und Familienformen einfach alte Modelle über. So folgt die Zeugung qua IVF weiterhin dem alten Narrativ der Geschlechterhierarchie des Aristoteles, der in seiner Schrift Die Zeugung der Geschöpfe die Ansicht vertreten hat, der männliche «Same» sei das aktive, formende Prinzip, während die Frau mit ihrem Gebärmutterblut lediglich das passive Material für dessen Gedeihen bereitstelle. Aus diesem Grund ist der Begriff «Sperma», Samen im Plural, für Ejakulat inhaltlich falsch. Es enthält keinen Samen, sondern lediglich Keimzellen, die sich erst noch mit einer anderen, gegengeschlechtlichen Keimzelle vereinigen müssen, damit etwas wachsen kann. Erst der Embryo ist «Samen». Der biologisch zutreffende Begriff für Ejakulat wäre «Pollen», die laut Wikipedia dazu «dienen, die männlichen Gameten geschützt zu den weiblichen Empfangsorganen zu bringen und so […] die Befruchtung zu ermöglichen».

In demselben falschen Rahmen wird heute über Leihmutterschaft gesprochen, nur dass die als aktiv und massgeblich geltenden Personen nun nicht mehr «die Männer» sind, sondern die zahlungskräftigen Auftraggeber*innen. Der scheinbar passive, rechtlose, irrelevante Part wird dabei nicht mehr Frauen per se zugeschrieben, sondern den Tragemüttern. Ganz nach dem Motto «Der Kunde ist König» haben etwa die US-amerikanischen Promis Kim Kardashian und Kanye West 2016 der Presse mitgeteilt, der Frau, die gegen Bezahlung mit «ihrem» dritten Kind schwanger gewesen sei, sei «nicht nur untersagt worden, zu rauchen und Drogen zu konsumieren, sondern auch heisse Bäder zu nehmen, sich die Haare zu färben oder rohen Fisch zu essen». Diese neue Hierarchisierung zwischen zahlenden und damit entscheidungsbefugten Kund*innen und den weisungsempfangenden Anbieterinnen reproduktiver Dienstleistungen passt auch perfekt zur kapitalistischen Organisationsform, die an die Stelle der traditionell patriarchalen getreten ist.

Globaler Markt

Unter dem Radar eines emotionsgeladenen und mit moralischem Pathos ausgetragenen Schlagabtauschs zwischen denen, die «für» und «gegen» moderne Reproduktionstechnologien sind, hat sich eine globale Industrie etabliert – und längst Fakten geschaffen: Dass Leihmütter und Eizellenverkäuferinnen auf einem kapitalistischen Markt auf häufig menschenverachtende Weise ausgebeutet werden, ist kaum zu leugnen. Dieser Aspekt müsste viel stärker ins politische und öffentliche Bewusstsein gebracht werden, gerade wenn über neue Möglichkeiten und Optionen von Reproduktionstechnologien verhandelt oder berichtet wird. Hier geht es nicht bloss um Ideologie. Vielmehr müsste den mit dem Thema verbundenen Prozessen konkrete Aufmerksamkeit im Detail gewidmet und müssten nachvollziehbare Kriterien entwickelt werden, anhand derer sich ethische Urteile über die einzelnen Verfahren und Praktiken fällen liessen.

Was ist mit jenem Japaner, der sechzehn Babys von verschiedenen thailändischen Frauen hat austragen lassen mit der Begründung, er wolle eben eine grosse Familie, und als mehrfacher Millionär könne er sich das leisten? Was ist mit der 60-Jährigen, die einen aus den Gameten ihres Sohnes und der Schwester seines Ehemannes gezeugten Embryo austrug und zur Welt brachte? Mit jenem Paar, das die Leihmutter zur Abtreibung zwingen wollte, nachdem sich herausstellte, dass der Fötus das Downsyndrom hatte? Sind die beiden spanischen Männer im Recht, die die von ihnen beauftragte thailändische Tragemutter mithilfe der Gerichte gezwungen haben, ihnen das Kind nach der Geburt auszuhändigen? Was ist mit jenen israelischen Eltern, die ihrem Sohn nach einem tödlichen Autounfall Ejakulat entnehmen liessen, es einfroren und dann auf die Suche nach einer geeigneten Schwiegertochter gingen, die vier Jahre später ihr Enkelkind austrug? Oder mit jener Witwe, der das Oberlandesgericht München 2017 die Befruchtung mit dem Sperma ihres verstorbenen Ehemannes untersagte?

Rechte für die betroffenen Frauen

Entscheidungen über solche Grenzfälle und Konflikte treffen heute in der Regel Richter*innen aufgrund von Gesetzgebungen, die ursprünglich gar nicht für diese Situationen geschaffen wurden. Im Ergebnis erscheint all das eher willkürlich. Eine breite gesellschaftliche Debatte gibt es genauso wenig wie eine kohärente ethische Orientierung. Häufig beanspruchen vor allem Gegner*innen der Reproduktionstechnologien pauschal, im Namen der ausgebeuteten Frauen zu sprechen. Materialistische Feministinnen wie das Kollektiv «Kitchen Politics» verweisen aber darauf, dass die Möglichkeit, die eigenen reproduktiven Fähigkeiten zu «vermarkten», ein angesichts ungerechter Wirtschaftsverhältnisse oftmals verlockendes Angebot für Frauen in materiell schwierigen Lebensumständen darstellt. Eine Eizellenspenderin bekommt zwischen 500 und 1000 Euro (in den USA teilweise mehrere tausend Euro, je nach angenommener «Qualität»), eine Leihmutter zwischen 25 000 und 100 000 Euro.

Liesse sich die Position dieser Frauen stärken, indem der Reproduktionsmarkt aus der heutigen, halblegalen Grauzone geholt und gewerkschaftliche Organisierung und Interessensvertretung von Leihmüttern und Eizellenverkäuferinnen ermöglicht wird, wie einige Aktivistinnen vorschlagen? Das ist sicher eine zwiespältige Idee, sie muss aber zumindest diskutiert werden können. Vor allem aber müssen die betroffenen Frauen selbst zu Wort kommen und gehört werden, denn sie wissen selbst am besten, worunter sie besonders leiden und welche konkreten Massnahmen nötig wären, um ihre Situation zu verbessern. Zum Beispiel müssten endlich alle Verträge als sittenwidrig und damit als ungültig erklärt werden, die Schwangeren einen bestimmten Lebenswandel bezüglich medizinischen Untersuchungen, Essen, Reisen oder Sport vorschreiben. Es wäre auch darüber nachzudenken, ob Leihmutterschaftsverträge nicht – analog etwa zu Adoptionen – erst einige Wochen nach der Geburt rechtskräftig werden, sodass die Gebärende die Möglichkeit hat, sich selbst für eine Mutterschaft zu entscheiden.

Um zu verhindern, dass Frauen durch die Reproduktionsindustrie ausgebeutet werden, braucht es sicher ein aktives Eintreten für globale ökonomische Gerechtigkeit sowie für die Sicherstellung individueller Freiheitsrechte. Nur wenn Frauen in materiell abgesicherten Verhältnissen leben, ist gewährleistet, dass sie nicht aus purer Armut in Arrangements einwilligen, die ihre Menschenwürde beschädigen. Je mehr Rechte und gesellschaftliche Freiheiten sie geniessen, desto eher können sie sozialem Druck widerstehen und sich gegen etwaige Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen.

Alternative Familienbeziehungen

Nebst den problematischen Aspekten von moderner Reproduktionsmedizin gibt es durchaus auch Chancen: In queerfeministischen Kontexten wird etwa auf die Möglichkeiten für nicht heteronormative Familien verwiesen, da Reproduktionstechnologien genetische Fortpflanzung unabhängig von biologischen Körpervarianten möglich machen. Aus diesem Grund fordert die Aktivistin Sophie Lewis in ihrem gleichnamigen Buch Full Surrogacy Now die vollständige Auflösung des traditionellen Familienverständnisses hin zu einer Akzeptanz vielfältiger Lebensformen zwischen Geschlechtern und Generationen durch eine offensive Nutzung und Akzeptanz der technischen Möglichkeiten.

Tatsächlich hat sich der Familienbegriff in der Queer Community seit den 1980er Jahren gewandelt. Ging es früher darum, soziale Verbindungen zu stärken, die die Enge des biologischen Familienbegriffs relativieren, hat sich der Kampf heute dahin verschoben, dass auch queere Menschen biologisch verwandte Familien gründen wollen. Die kapitalistisch organisierte Reproduktionsindustrie hat daran natürlich ein Interesse. Hier könnte stärker ins Bewusstsein gerufen werden, dass alternative Familienbeziehungen nicht per se auf Reproduktionstechnologie angewiesen sind. Schwangerschaften ausserhalb der traditionellen Ordnung hat es immer gegeben, ebenso Formen von Insemination ohne körperlichen Geschlechtsverkehr. Die Möglichkeit, Ejakulat auf mechanische Weise, etwa mithilfe eines Becherchens oder Schlauches, in die Nähe eines Gebärmuttermundes zu bringen, ist naheliegend und wird sowohl im Privaten als auch im medizinischen Bereich mindestens seit dem 19. Jahrhundert angewendet. Bis heute ist dies eine unbürokratische Möglichkeit für lesbische Paare, alleinstehende Frauen oder verschiedene Formen von gemeinsamer Elternschaft ausserhalb traditioneller Familienformen, Schwangerschaften herbeizuführen.

Auch dass Kinder bei anderen Eltern als ihren biologischen Zeuger*innen aufwachsen, ist keine Folge der Technologie. Dass Kinder aus kinderreichen Familien in die Obhut anderer übergeben wurden und zum Beispiel von kinderlosen Nachbarinnen oder Verwandten aufgezogen wurden, kam früher vor allem in ländlichen Bereichen immer wieder vor. In der Aufbruchstimmung der 1960er Jahre haben Studenten in den USA Ejakulat an Frauen verkauft, die ohne Beziehung zu einem Mann schwanger werden wollten, bis das verboten beziehungsweise gesetzlich reguliert und spezialisierten Samenbanken vorbehalten wurde. Heute haben die sozialen Medien den unregulierten Austausch von Gameten erneut aufleben lassen: Über soziale Netzwerke wie Facebook kann man als Person, die schwanger werden möchte, in Kontakt mit potenziellen Ejakulatsspendern treten und jeweils eigene, individuelle Abmachungen über die Modalitäten der entsprechenden Kooperation treffen. Dabei zeigt sich, dass Geld längst nicht die einzige Motivation ist, warum viele Männer bereitwillig an der Zeugung von Kindern mitwirken.

Mehr politische und symbolische Aufmerksamkeit ist vor allem für die Bedeutung des Schwangerseins und den Prozess des Übergangs der Geburt notwendig. Derzeit wird häufig die gebärende Person aktiv aus dem Bewusstsein verdrängt – auch dies eine Folge der angestrebten «Normalitätssimulation». So postete der US-Politiker Pete Buttigieg – bekannt geworden durch seine Bewerbung für die demokratische Präsidentschaftskandidatur – im September 2020 auf seinem Instagram-Kanal ein Schwarz-Weiss-Selfie von sich und seinem Ehemann Chasten mit der Nachricht, sie seien Eltern geworden. Die frischgebackenen Väter posierten im Krankenhausbett, mit Bändchen ums Handgelenk und jeder ein gewickeltes Baby im Arm. Woher kommen die Kinder? Wer hat sie geboren? Das, so die Aussage des geposteten Fotos, soll keine Rolle spielen. Die Gebärerin bleibt unerwähnt und unsichtbar, und zwar aus einem offensichtlichen Grund: Die beiden Männer wollen sich als «normale Familie» präsentieren. Und eine «normale» Familie hat eben nur zwei Elternteile. Ein dritter Elternteil im Bild würde stören.

Wie kommt der Übergang zwischen Schwangerschaft und Familiengründung zustande, der in der Instagram-Inszenierung von Buttigieg nicht gezeigt wird? Welche ethischen Kriterien legen wir an für den Fall, dass Kinder nach der Geburt nicht bei der Gebärerin bleiben, sondern in die Obhut anderer Erwachsener überwechseln? Wie kann der Übergang zwischen einer Schwangerschaft und der Familiengründung auf eine freiheitliche Weise gestaltet werden? Das anmassende «Gott will das so», mit dem christliche Moraltheologie solche Debatten in der Vergangenheit abwürgen konnte, beeindruckt heute immer weniger Menschen. Das Problem ist eben nicht, dass zwei Männer gemeinsam Eltern sein möchten, sondern dass sie dabei ein überkommenes Eheideal zu imitieren versuchen, anstatt eine neue symbolische Ordnung für ihre Lebensform zu finden. Das zeigt gleichzeitig, wie sehr traditionelle christliche Vorstellungen vom Zusammenleben der Generationen in einer säkularen Variante weiterhin kulturprägend sind. Und sogar mehr noch: Da die Konzepte gewissermassen ihres religiösen Ursprungs entkleidet wurden, erscheinen sie noch universaler, noch selbstverständlicher, werden noch weniger hinterfragt. Genau das aber wäre nötig.

Die Würde aller Beteiligten

Wegweisend sind dabei häufig diejenigen, denen eine Simulation von traditioneller Heteronormativität nicht möglich ist. Denn ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als neue Formen des Umgangs zu entwickeln. Zwar machen schwule Paare unter den Kund*innen von bezahlten Schwangerschaften nur einen kleinen Anteil aus – die allermeisten Auftragseltern sind nach wie vor heterosexuelle Paare –, aber viele von ihnen gehen bereits offen mit ihrer Familiengeschichte um. Häufig hat die Tragemutter in ihrer Familienerzählung einen eigenen Platz, es werden Weihnachts- und Geburtstagsgrüsse ausgetauscht, und den Kindern wird ihre biologische Herkunft von klein auf transparent gemacht. Auch alleinstehende Frauen bringen das Thema zunehmend in die Debatte, wie die in der Schweiz lebende Filmemacherin Marina Belobrovaja. In ihrem 2021 erschienenen Dokumentarfilm Menschenskind setzt sie sich reflektierend und auch selbstkritisch mit ihrer Entscheidung auseinander, ohne zugehörigen Vater ein Kind zu bekommen. Um differenziertere Debatten bemühen sich auch Familien, die Co-Elternschaft praktizieren, also gemeinsame Elternschaft ohne romantische Beziehung, wie der Berliner Autor Jochen König, der über seine Erfahrungen einige Bücher geschrieben hat.

Was von dem, was heute möglich ist, ist auch gut und richtig? Was soll generell erlaubt und was verboten werden? Wer darf unter welchen Bedingungen das, was erlaubt ist, in Anspruch nehmen? Und bei denen, die das dürfen: Was davon wird über Sozialsysteme, etwa Krankenkassen, solidarisch finanziert und was nicht? Solche Fragen müssen anhand von inhaltlichen Wertmassstäben beantwortet werden und nicht entlang des Kriteriums, ob die betreffenden Personen einem klassischen heteronormativen Ideal entsprechen oder nicht. Es kann bei ethischen Debatten über Reproduktionstechnologien weder darum gehen, sie pauschal zu verdammen und stattdessen das Loblied der «natürlichen» heterosexuellen Fortpflanzung zu singen, noch darum, Eizellenverkauf und bezahlte Schwangerschaften zu einer blossen Dienstleistung zu erklären und den kapitalistischen Marktgesetzen zu überlassen. Vielmehr sollten wir überlegen, wie Freiheit und Würde aller Beteiligten angesichts dieser neuen Technologien sichergestellt werden können. Ehrlicherweise muss man sagen, dass sich der christliche Beitrag zu dieser Debatte bisher als nicht besonders hilfreich erwiesen hat.

  • Antje Schrupp,

    *1964, ist promovierte Politikwissenschafterin, Theologin und Journalistin.

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