Über uns - Neue Wege begehen

Geneva Moser, Matthias Hui, 23. April 2019
5.19

Vor einem Jahr sind wir neu gestartet. Mit einem leuchtenden Heft in der Hand – in der grössten Auflage der 112-jährigen Geschichte der Neuen Wege wurde es auch der WOZ beigelegt. Mit einem Fest in Zürich am Geburtstag von Karl Marx. Und mit der alten Frage, wie wir es angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse mit der Religion halten.

Das Gesicht

Unterdessen ist unsere Zeitschrift übers Jahr in zehn verschiedenen Farben erschienen. Wir hätten nicht vermutet, dass das frische Layout der Grafiker*innen von Bonbon so deutlich dazu beiträgt, dass die Neuen Wege andere Gefühle auslösen und stärker auffallen. Das passiert selbst manchen Leser*innen, die die Zeitschrift schon seit Jahren abonniert haben und berichten, dass sie sie wieder vermehrt lesen und brauchen.

Der Kompass

Nicht, dass wir uns mit dem neuen Erscheinungsbild von der Vergangenheit gelöst hätten. Eher das Gegenteil ist richtig: Die grobe Himmelsrichtung, in der wir unterwegs sind, scheint zu stimmen. Wir kommen von weit, die Herkunft aus dem Religiösen Sozialismus ist ein Glück. Wir stehen zu unserem roten Faden: dem Glauben an etwas Anderes, als das, was ist und das Leben bedroht. 

Die Verortung

Die gesellschaftspolitische Landschaft, die wir mit den Neuen Wegen durchqueren, wird in den letzten Jahren wieder spannender. Auf unsere Inhalte – Reclaim the Bible oder die Religion in der SP – haben wir mehr Reaktionen erhalten denn je. Auch Die Zeit, die NZZ oder Radio SRF berichten über uns. Am Spannungsfeld von gelebter Religion, widerständiger Politik und kritischem Denken – auch gegenüber den eigenen Traditionen und Institutionen und den abgenutzten Etikettierungen – sind nicht wenige Menschen, gerade in der Linken, neu interessiert.

Die Vielfalt

Auch unter uns ist einiges in Bewegung geraten. Noch nie sind im Umfeld der Redaktion in kurzer Zeit so viele Kinder zur Welt gekommen. Bei Redaktionssitzungen können Frauen endlich auch mal in der Mehrheit sein. Junge Kolleginnen prägen die Redak­tionsleitung mit. Zum ersten Mal arbeitet ein Redaktionsmitglied mit muslimischem Hintergrund mit. Trotz der inspirierenden Jubiläen von Karl Marx, Karl Barth, Leonhard Ragaz: Die Zeit der alten weissen Männer geht zu Ende. Sie merken es dieser Queer-Nummer an: Derzeit experimentieren wir mit geschlechtersensiblen Schreibweisen.

Die Buchstaben

Wir setzen auf die gedruckte Zeitschrift. Gerade im digitalen Zeitalter suchen wir den Diskurs über den Tag hinaus. Der sorgfältigere Umgang mit Layout und Texten gibt viel Arbeit, aber er bereitet Freude. Gleichzeitig haben wir die elektronische Kommunikation ausgebaut. Wir stellen jeden Monat ein paar gute Texte auf unsere neue Website neuewege.ch. Wir bereiten uns vor auf eine Zeit, in der das Verbreiten und Verlinken von Texten im Internet für uns noch viel bedeutsamer werden könnte. Und wir bringen kurze Inhalte und Hinweise über Newsletter, Facebook und Twitter unter mehr Leute.

Die Genoss*innenschaft

Die Neuen Wege sind nicht nur bedrucktes Papier und nicht bloss vernetzte Daten. Die Zeitschrift lebt von einer Community, die schreibt und liest und Beziehungen pflegt. Wir treten auf an Kongressen und Seminaren, an Demos und Gottesdiensten. Die Neuen Wege verstehen sich als Teil grösserer Netzwerke, die Veränderungen anstreben. So beteiligen wir uns am Denknetz-Kongress Reclaim Democracy vom Februar 2020 in der Roten Fabrik in Zürich. Mit eigenen Anlässen schaffen wir Begegnungen zwischen Menschen, die sich vom Zusammentreffen fortschrittlicher Politik und kritischer Religion irritieren und inspirieren lassen. Und ein schönes Zeichen: In Zürich haben sich Leser*innen der Neuen Wege neu zusammengefunden, um Monat für Monat Texte zu diskutieren.

Die Stabilität

Die Redaktionsarbeit ist heraus­fordernd, kreativ, sie macht Freude. Auch wenn sie unter eher prekären Umständen geschieht. Deshalb suchen wir noch mehr Unterstützung. 330 neue Abonnent*innen sind an Bord gekommen in diesem ersten Jahr, bei einem neuen Stand von 1600 – eine Trendwende. Aber wir brauchen noch mehr Menschen, die das Gelände unserer neuen Wege absichern helfen. Wir wünschen uns Förderabos, grosse und kleine Spenden, hoffentlich wieder einmal ein Legat. Wir benötigen Ressourcen, um zu diesen Ressourcen zu kommen. Und am meisten brauchen wir begeisterte und hilfsbereite Leser*innen, die für die Zeitschrift werben – in ihrer Buchhandlung, an einer Tagung, bei Freund*innen und Verwandten.

Der Horizont

Soeben sind wir dem alternativen Verlegerverband Medien mit Zukunft beigetreten, um uns auch medienpolitisch zu vernetzen und vernehmen zu lassen. Es geht uns um die Zukunft. Aber nicht einfach um die Zukunft des Mediums. Deshalb sprechen wir in den nächsten Ausgaben vom Klimastreik der Jugendlichen und der Frage, was System Change heisst, vom Frauenstreik und Machtverhältnissen auch in der Kirche, von «queer glauben», weil wir eine Welt für alle wollen. Es geht um neue Wege im Konkreten, um die Hoffnung, um das Reich Gottes, wie das in den Neuen Wegen seit 113 Jahren auch heisst.●

  • Geneva Moser,

    *1988, studierte literarisches Schreiben, Geschlechterforschung und Philosophie an der Kunsthochschule Bern und der Universität Basel. Sie ist Tanztherapeutin, schreibt freiberuflich und ist Co-Leitung der Neue Wege-Redaktion.

  • Matthias Hui,

    *1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Vorstandsmitglied der Schweizerischen Menschenrechtsinstitution SMRI.