Die Verteidiger*innen der Verhüllungsinitiative führen ins Feld, Gleichstellung und den Rechtsstaat retten zu wollen. Das Resultat wäre – wie bei den Terrorgesetzen – das pure Gegenteil. Die Initiative unterminiert die Freiheit, die Freiheit aller. Für den Rechtswissenschaftler Stefan Schlegel ist sie «ein frontaler Angriff auf die Funktionsweise der klassischen Freiheitsrechte» (unserrecht.ch, 24.1.2021). Im Grunde besage sie, dass Freiheitsrechte nur jenen zustünden, die selber für die Freiheit sind. In der Konsequenz dürfe obrigkeitlich oder per Mehrheit bestimmt werden, welche Ideologien, Glaubensvorstellungen und Kleider für die Freiheit stehen und welche nicht. Hier ist Einspruch notwendig: Es gibt kein Recht darauf, vor Irritation durch (Verhüllungs-)Punks geschützt zu werden. Wo denn Nötigung und Zwang eine Rolle spielen sollten, muss ihnen mit dem Strafgesetz begegnet werden und nicht mit einer zusätzlichen Isolierung der Opfer.
Wieso wird die nur notdürftig verschleierte Attacke auf die Freiheitsrechte nicht erkannt? Stefan Schlegel meint, dass es gesellschaftlich legitimer werde, das Religiöse ins Private abzudrängen. Dort allerdings wuchert es wilder. Religionsfreiheit braucht Öffentlichkeit, für Prozessionen
wie zur Unterstützung der Konzerninitiative. Ausserdem scheint die Beschneidung von Freiheitsrechten ja «nur» eine mehrfach ausgegrenzte Minderheit zu betreffen. Die Öffentlichkeit verhandelt einmal mehr über betroffene Frauen und ihren Körper – und steht nicht im Dialog mit ihnen.
Die Autorinnen des Interreligiösen Think-Tanks (interrelthinktank.ch) benennen in ihrem Argumentarium bereits 2016 das eigentliche Ziel: «Wie beim Minarettverbot soll gezeigt werden: Der Islam gehört nicht zu unserer Gesellschaft und ist unvereinbar mit unseren Werten. Zur Umsetzung dieser Ausgrenzungspolitik wird ein Randphänomen wie die Burka zum eigentlichen Gefäss der Debatte, in das alle Bedenken, Befindlichkeiten und Kritik an den MuslimInnen und am Islam hineingefüllt werden können. Somit verschleiert die Initiative selbst, worum es ihr im Grunde geht: um die gewollte Aufspaltung unserer Gesellschaft in ein ‹Wir› und die ‹Anderen›.» Die Initiative verfestigt das koloniale und rassistische Bild der «armen, unterdrückten, muslimischen Frau» (Meral Kaya).
Die eigentlichen Täter lässt man laufen. Ueli Maurer beispielsweise scheint es sehr wohl zu sein im Kreis der saudischen Herrscherfamilie. Und die Inhaftierung saudischer Frauenrechts- und Menschenrechtsaktivist*innen, der Krieg in Jemen, der Mord an Jamal Khashoggi? SVP, UBS und Pilatuswerke reissen den Schleier nicht herunter, den das saudische Regime über die Gewaltverhältnisse legt. Diese Freiheit nehmen sie sich. Wir sind ja schliesslich in der Schweiz.