Wir gehen! Wir streiken!

Matthias Hui, 1. Februar 2019

Es knallte am 19. November. Anne-Marie Holenstein, Doris Strahm, Regula Strobel, Cécile Bühlmann, Monika Stocker und Ruth-Gaby Vermot – Frauen, mit denen die Neuen Wege viel verbindet – gaben ihren Austritt aus dem «römisch-katholischen Machtapparat mit seiner patriarchalen Theologie». Wir gehen! Dass Papst Franziskus erklärt habe, Abtreibung komme einem Auftragsmord gleich, sei «der berühmte letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat». Weil sie sich für Frauenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle Selbstbestimmung von Frauen einsetzten, wollten sie nicht länger einer Institution angehören, die diese Rechte verneint und Frauen «aus der heiligen (Männer-)Herrschaft ausschliesst».

«Man tut keiner Gemeinschaft, heis­se sie Partei oder Kirche oder sonstwie, einen Dienst, wenn man um jeden Preis in ihr verharrt, auch wenn man innerlich nicht mehr zu ihr gehört; man tut ihr den besten Dienst durch Widerstand, unter Umständen dadurch, dass man geht.» Das schrieb Leonhard Ragaz 1936, als er aus der SP austrat.

Der gemeinsame Kirchenaustritt hat viele Reaktionen ausgelöst. Mich hat irritiert, was darin nicht zur Sprache kam. 

Erstens haben fast nur KatholikInnen auf diesen Protest Bezug genommen. Dabei stellt diese Kritik doch auch lebensfeindliche Traditionen in anderen Konfessionen und Religionsgemeinschaften in Frage. In der Ökumene, und anders ist Kirche heute nicht mehr zu denken, stehe ich als Reformierter nicht einfach jenseits der katholischen Kirche. Insbesondere dann nicht, wenn ich mich nicht gegen Unrecht wehre. Auch von aussen werden die Religionen oft im selben Topf gesehen. Zusammen mit dem Patriarchat.

Zweitens scheint der Widerstand gegen Diskriminierung Frauensache zu sein. Ein Job mehr. Die Stellungnahme für eine Kirche umfassender Gleichwertigkeit von Monika Hungerbühler und Jacqueline Keune haben zwar auch viele Theologen unterschrieben: «Die ‚Ämtli’ weitgehend den Frauen, die Ämter den Männern.» Aber wieso «geht» kein Mann und lässt es knallen? Wann finden wir uns zusammen für ein Manifest gegen die toxische Männlichkeit in ihren kirchlich-­religiösen Varianten? 

Und drittens irritiert mich auch bei den sechs Ausgetretenen, dass sie von Geschlechtergerechtigkeit sprechen und bei den Rechten und der Sexualität der Frau bleiben. In der klerikal-zölibatären Männerkirche bleiben Würde und Rechte der Schwulen, der Lesben, der Bisexuellen, der Transmenschen erst recht auf der Strecke. Vielleicht bringt erst ein queerer Diskurs, die Vielfalt aller sexuellen Orientierungen und Geschlechteridentitäten, alles ins Wanken. Alles ins Lot.

Schliesslich fehlen in der Debatte die linken Franziskus-AnhängerInnen. Ich möchte mich auch zu ihnen zählen, beeindruckt von seiner Kapitalismuskritik, seiner Schöpfungstheologie, seiner Solidarität mit Ausgegrenzten. Aber wer setzt seine frauenverachtenden Aussagen zur Abtreibung, seine primitiven Äusserungen zum «Genderismus» in einen Gegensatz dazu? Stellen wir jetzt wieder den Neben- hinter den Hauptwiderspruch?

Wie wäre es damit: Solidarität zwischen allen, die sich gegen Gewalt und Diskriminierung wehren – in- und ausserhalb der Institutionen, etwa der Kirchen. Es spielt dabei keine grosse Rolle, wer SP-­Mitglied ist und wer katholische Gläubige. Sichtbar werden kann diese Solidarität am Frauenstreik. Nach dem 14. Juni 2019 soll er in den Kirchen am 15. und 16. Juni fortgesetzt werden. Regula Grünenfelder von der Fachstelle Feministische Theologie in Luzern hat die Idee lanciert. Es könnte wieder knallen. So, dass Menschen die Augen aufgehen.●

  • Matthias Hui,

    *1962, ist Co-Redaktionsleiter der Neuen Wege, Theologe und Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation humanrights.ch.