In meinem Quartier gehörte ich von Anfang an dazu. Jeder und jede, der oder die mich willkommen hiess, tat dies mit der Bemerkung: «Bleib möglichst lang in unserem Land!» Irritierend schön. Unerwartet und ungewohnt. Ich lernte eine bedingungslose nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft kennen, diskret und voller Respekt. Ein weit gesponnenes Netz umgab mich, fast nur als Hauch wahrnehmbar. Es konnte mir nichts passieren.
Beirut – Geborgenheit. Beirut, Geborgenheit? Es ist Stress pur. Alle sind immer auf Empfang, in der Erwartung schlechter, dramatischer Nachrichten. Alles, was ist, kann im nächsten Moment nicht mehr sein. Oder ganz anders. Am Abend Kaffee an der Corniche, am nächsten Morgen Krieg. So ist es geschehen. Zwischen Normalität und Ausnahmezustand liegen nur ein paar Stunden. Nichts mehr, woran man sich halten kann.
Das Konzept der Sicherheit, das westeuropäische, schweizerische, löst sich auf. Unvorstellbar, dass man je daran glauben konnte. Weit weg und absurd. Der freie Fall, nichts mehr, was hält, nur Leere. Aber dann kann es geschehen, dass man gehalten wird. Im fremden Land, unter fremden Menschen. Man sieht – ungläubig zuerst, dann mit grossem Staunen –, wie die Leute in der Nachbarschaft ihren Alltag weiterleben. Stoisch. Unbeirrt.Man erlebt kleine Gesten der Stärke, der Nähe, der Gemeinschaft. Vieles nur angedeutet, ohne Worte. Abends brennen in anderen Häuser die Lichter: Man atmet auf. Keiner ist weg. Draussen im Hof spielen die Kinder: Man hört zweimal zweimal hin und lächelt.
Am Nachmittag klingelt es, der Hauswart fragt, wie es geht: Der Puls beruhigt sich. Der ganz banale, nie geschätzte Alltagstrott wird zur grössten Kostbarkeit. Zur Mauer vor dem Abgrund. Das Da-Sein der anderen wird zum Wichtigsten überhaupt. Durch sie spürt man langsam wieder Boden unter den Füssen, fragil und dünn, aber immerhin. Die Angst ist bei allen da. Und sie wird auch nicht verschwiegen. Aber sie ist nur eines von vielen Gefühlen, nicht übermächtig, nicht lähmend, nicht unheimlich. Nicht fremd und nicht neu. Denn die Bedrohung des Lebens ist hier keine theoretische Gefahr, sondern Erfahrung. Genauso das tiefe Wissen, dass man das eigene Leben nicht in seiner Hand hat. «Inschallah», oft als Floskel dahingesagt, hat in schweren Zeiten einen ganz anderen Klang. Ernst, nicht bitter und nicht zweifelnd. «So Gott will.» Es ist nicht der Fatalismus, der mit Resignation einhergeht oder Ohnmacht. Es ist die Erfahrung, dass man das Leben nicht versichern kann. Wenn es das Schicksal will, dann überlebt man. Dagegen hat die Angst keine Chance.