Girls? Frauen? Maitschis? Ich will, dass wir uns öfter fragen, was es bedeutet, emanzipierte Frauen zu sein. Genauer gesagt: immer und überall. Zusammen mit anderen Frauen und mit unserem gesamten Umfeld. Und dass wir uns gegenseitig dazu motivieren, emanzipierte Frauen zu sein. Uns gegenseitig den Platz dazu verschaffen.
Als ich selbst damit angefangen habe, hat sich eine ganze Welt an Dingen aufgetan, die ich oder Freundinnen von mir nicht gelernt hatten, weil wir «Mädchen» sind. Und diese Welt ist grösser als angenommen.
Ich weiss nicht, wie gut ihr euch an eure Trotzphase erinnert. Bei mir jedenfalls konnte es sein, dass ich mich zeternd und um mich schlagend auf den Boden geworfen habe, weil ich den Reissverschluss meiner Jacke selbst aufmachen wollte und meine Mutter das aus Versehen übernommen hatte.
«Selba machäää!» war in dieser Zeit meine wohl am häufigsten geäusserte Forderung. Ich wollte Sachen selbst in die Hand nehmen, ich wollte Entscheidungen treffen, ich war laut, und ich wollte bestimmen. So war das wahrscheinlich bei uns allen für eine Zeit lang.
Ich bin froh, haben es die meisten meiner Freundinnen geschafft, sich zu angenehmeren, weniger tyrannischen Mitmenschen zu entwickeln. Aber ich frage mich, wie wir aus dieser Trotzphase zu Wesen herangewachsen sind, für die es vollkommen selbstverständlich ist, nicht in der Lage zu sein, eine Flasche ohne Flaschenöffner zu öffnen, Fahrräder zu flicken, Glühbirnen auszuwechseln, einen Akkubohrer zu bedienen, den Mund aufzumachen, und tausend Dinge mehr, einfach nicht zu können. Und ja, einige von uns Frauen können all das. Aber die, die das nicht können, fallen weiter gar nicht auf, weil wir daran gewohnt sind.
Ich bin wirklich froh, dass Schuhe binden keinem Geschlecht zugeordnet ist, sonst könnten einige von uns vielleicht noch nicht einmal vor die Tür, ohne ihren Kumpel oder Nachbarn um Hilfe zu fragen. Und ja, das klingt böse. Aber ich bin auch ein bisschen wütend. Darüber, dass ein guter Freund von mir ständig Freundinnen hat, die all diese Sachen nicht können (ausser vielleicht Schuhe binden). Und ich bin wütend, dass ich ein Muster sehe. Und darüber, dass selbst ich, die ich ein recht emanzipiertes Bild von mir selbst habe, viel zu oft in Situationen komme, in denen ich Sachen nicht kann – einfach, weil ich unsicher bin, wenn ich etwas selbst versuche.
Weil auch ich oft genug nicht das Selbstvertrauen habe, mich selber für voll zu nehmen. Weil ich weniger gut gelernt habe, Dinge anständig zu lernen, mich durchzubeissen, stark zu sein, mir meinen Raum zu nehmen, zu funktionieren. Weniger gut, als es viele Männer gelernt haben. Und natürlich, weil einige Männer das auch zur Genüge ausnutzen, bewusst oder unbewusst.
Ich habe sieben Jahre lang im Verein Fussball gespielt, und trotzdem bin ich manchmal verunsichert, wenn mir im
Park ein Ball entgegen rollt und ich ihn zurück schiessen soll. Oder ich erwische mich immer noch dabei, wie ich mir manchmal von irgendwelchen Typen Sachen erklären lasse, die ich eigentlich besser weiss.
Letztens war ich mit einem jungen Mann und einer jungen Frau Billard spielen. Sie konnten es beide nicht sonderlich gut, mit dem Unterschied, dass er es versuchte und deshalb den einen oder anderen Ball versenkte, woraufhin sein Selbstbewusstsein in Sachen Billard wuchs und er immer besser wurde. Sie dagegen war so sehr damit beschäftigt, nichts zu können und mädchenhaft vor sich hin zu kichern und sich dafür zu schämen, dass sie tatsächlich jede einzelne Kugel auf eine sich selbst demütigende Weise verschoss. Und ja, ich habe «mädchenhaft» geschrieben. Weil wir alle immer noch wissen, was das Wort bedeutet.
Wir können noch lange darüber reden, wie schlimm die Lage der Frauen in Saudiarabien ist und wie glücklich wir doch hier sein können. Wir können in der hiesigen Gleichstellungsdebatte auch die Lohnungleichheit weiter als
Hauptproblem hochstilisieren (lassen). Für mich ist das alles wertloses Gelaber, solange ich in einer Gesellschaft lebe, in der es normal ist, dass Mädchen sich «mädchenhaft» benehmen. Solange «mädchenhaft» unter anderem heisst, Dinge unsicher, falsch, mit wenig Determination und schwach auszuüben.
Solange es normal ist, dass Frauen herumdrucksen oder lächerliche Codewörter benutzen, wenn wir über unsere Menstruation reden. Solange wir uns die Stimme wegnehmen lassen von einer Gruppe, die zwar nicht schlauer, aber lauter und selbstbewusster ist. Weil sie so erzogen wird, sich selbst so erzieht und wir sie so erziehen. Solange wir uns nicht eingestehen, dass Empowerment, also Selbstermächtigung, Arbeit ist. An uns selbst, an unserem Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Eingestehen, dass wir uns in einem System befinden, das uns Frauen nicht nur weniger Rechte zugesteht, sondern unser Selbstvertrauen verstümmelt, unsere Handlungsfähigkeit einschränkt, unsere Körper auf die absurdeste Weise vereinnahmt. Und das ist schwieriger zu beheben, als das Frauenwahlrecht und eine Frauenquote einzuführen.
Ich will, dass wir uns öfter Gedanken darüber machen, wie wir all das beheben können. Ich will, dass wir uns darum kümmern. Sprecht mit anderen Frauen darüber. Sucht euch weibliche Vorbilder, die mehr tun, als schön zu sein. Sucht euch generell Vorbilder, die was können. Sucht euch ein Umfeld an Menschen, die euch bestärken, die euch Platz geben, mit denen ihr lernen könnt.
Lasst euch für voll nehmen. Lasst euch Flaschen öffnen und lernt, wie es selbst gemacht werden kann. Lasst euch nur Sachen erklären, die ihr nicht wisst. Lasst euch den Koffer tragen, wenn ihr nicht mehr tragen könnt, und helft, Koffer tragen, wenn andere erschöpft sind. Lest mehr feministische Literatur! Sagt eurem besten Freund, dass er sich eine Freundin suchen soll, die ihn herausfordert, nicht nur bestätigt.
Denn all das hat Struktur. Und diese Struktur können wir nur bekämpfen, wenn wir daran arbeiten. Nehmt Sachen selbst in die Hand, traut euch Sachen zu, trefft Entscheidungen! Denn genau das ist Emanzipation. Und aus der Trotzphase wissen wir, dass etwas manchmal auch laut gesagt werden muss. Sagt: ICH WILL ABER!
Ach ja. Da sind ja auch noch männliche Leser. Helft mit! Macht Platz! Gebt Acht! Und fühlt euch ein. Nur Mut, das bringt uns allen was.
In der Kolumne Alltag in ... beschreiben die Journalistin Iren Meier und die Poetry Slammerin Fatima Moumouni abwechselnd das, was sie an den Orten, an denen sie sich bewegen, beobachten - von Zürich bis in den Nahen Osten.
*1992, war 2012 bayrische U20-Meisterin und deutschsprachige U20-Vizemeisterin im Poetry Slam. Sie schreibt schnelle, laute Texte, tritt damit seit fünf Jahren auf Bühnen
im gesamten deutschsprachigen Raum auf und schwenkt seit fünf Jahren einen Ausländerausweis in ihren Händen – sie wohnt seitdem in der Schweiz.