Die Vorurteile sind überall, sagt meine Freundin. In den Blicken, im gönnerhaften Tonfall, in den Komplimenten für ihr Deutsch. Sie sagt auch, dass sie ausserhalb des Hauses unsicher ist. Dass sie nicht weiss, wie sie sich «richtig» verhalten soll. Dass sie das Gefühl hat, sie dürfe keine Fehler machen. Es koste sie viel Energie, sich ständig beweisen zu müssen.
If the promise of citizenship is offered as a promise of happiness, then you have to demonstrate that you are a worthy recipient of its promise.
Meine Freundin ist würdig: Sie besucht täglich den Deutschkurs, lernt schnell, macht unbezahlte Arbeit im Kirchenkaffee, sie lacht und scherzt viel, singt im Chor. Meine Freundin schlägt sich gut im Buchstabenlabyrinth der Bürokatie: Das SEM, das Staatssekretariat für Migration, erteilt den C-Ausweis, Deutsch B1 ist bestanden. Manchmal, wenn ich meine Freundin frage, wie es ihr geht, sagt sie: nicht gut, aber gut. Meine Freundin soll ankommen, das Alte zurücklassen, vergessen, loslassen. Sie soll sich integrieren, froh sein. Schliesslich war es ja schlimm dort, wo sie herkommt.
You try and demonstrate that you are normal even when your desires take you away from the normal. […] You assume that this approximation might be rewarded with recognition: oh, you too, you are just like us; after all, you are just like us. You mime in the hope that those you mimic become approving of you; that they might register your becoming with approval. […] You fail to be what you aspire to be.
In The Promise of Happiness (2010) problematisiert die feministische Autorin Sara Ahmed «happiness», glücklich-sein. Was gemeinhin als erstrebenswert und positiv gilt, hat laut Ahmed eine normative und marginalisierende Dimension. Glücklich-sein: ein Mythos, verbunden mit bestimmten Lebensformen, materiellen Realitäten, Chronologien und Laufbahnetappen. Ein Glücksversprechen – gebunden an Bedingungen und Erwartungen. Happiness als Mittel der Bildung einer nationalen Identität. Sara Ahmed beschreibt Figuren, die diesem Glücksversprechen gegenüberstehen, es allein mit ihrer Existenz brechen, den Spass verderben. Kritische Figuren: feminist killjoys, unhappy queers und melancholic migrants. Statt in einer Überwindungs- und Fortschrittslogik den Fokus auf ein zukünftiges, in bestimmter Weise geartetes Glück zu legen, beharrt Sara Ahmed mit der widerständigen Figur der/des melancholic migrant darauf, zu fragen, was sichtbar unglückliche, «fremde» Körper am Glück hindert, sie eben «melancholisch» macht. Nicht die Migrantin ist «melancholisch» und leistet zu wenig, um die Melancholie zu überwinden: Ahmed nutzt die Formulierung melancholic migrant, um die Aufmerksamkeit auf die sozialen Ungleichheiten zu lenken.
The figure of the melancholic migrant appears as the one who refuses to participate in the national game.
Ich frage mich, ob meine Freundin am Frauenstreik am 14.Juni in den Streik der «guten Ausländerin» treten könnte … Ob sie die Anforderungen, sich ständig zu beweisen, bestreiken könnte. Eine «schlechte Ausländerin», die sich weigert, möglichst ähnlich, möglichst unauffällig, möglichst gleich zu werden. Eine «melancholische Ausländerin», die festhält an der Vergangenheit, an ihrer Geschichte. Eine, die streikt, gegen das Regelwerk, welches über Zugehörigkeit entscheidet. Gegen die Erwartungen, stets geduldig, freundlich und dankbar zu sein. Und ich frage mich, wie ich sie dabei unterstützen könnte.●